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Cernoch, Otokar:
Alibi. Roman eines Kriminalprozesses.
Berlin, Buchverlag Der Morgen, 1964.

gefunden im Sachgebiet: Literatur

Cernoch, Otokar:  Alibi. Roman eines Kriminalprozesses.
1. Aufl. S. 414. Antikbuch24-SchnellhilfeOktav = Höhe des Buchrücken 18,5-22,5 cm , Leinen , Gutes Exemplar

Sobald ich in Gedanken in die Jahre 1926-28 zurückkehre, in denen das Verbrechen geschah und der Schwurgerichtsprozeß lief, die mich zum Roman »Alibi-» inspirierten, sehe ich mich als Student auf dem Wege zur Handelsakademie jeden Tag zweimal an dem Gerichtsgebäude vorbeikommen, in dem damals der Prozeß stattfand. Neugierig mischte ich mich unter die aufgeregte Menschenmenge, die über Schuld und Unschuld des Dichters und Doktors der Medizin Jan Klepetäf, der lebendigen Vorlage für meinen literarischen Helden Nefima, erregt diskutierte. Die spannenden Peripetien im Kampf um das Alibi des Hauptangeklagten faszinierten breite Kreise der Öffentlichkeit, was nicht zuletzt die reaktionären Boulevard- und Abendblätter durch ihre hysterischen Meldungen bewirkten. Eine Rolle spielte auch die gewisse Analogie mit den skandalösen Bankrottprozessen der Neureichen während der Inflation, die die Nazis so virtuos zu ihren Propagandazwecken auszunutzen verstanden. Die tschechoslowakischen Faschisten, besonders Stfi-brny, versuchten ebenfalls und nicht gerade erfolglos, es ihnen gleichzutun. Auf Grund der konkreten Situation der damaligen Jahre betrieben sie allerdings weniger Antisemitismus, sondern griffen die »abtrünnigen« Intellektuellen, die Marxisten und Linken überhaupt demagogisch an. Durch diesen wüsten Feldzug wurde Stfibrnys »Poledni list« eines der Belesensten Blätter und seine »Liga-« in den Gemeindewahlen die zweitstärkste Partei in Prag. In diesem Zusammenhang seien mir einige kurze Bemerkungen zur politischen Situation dieser Zeit gestattet. Nach dem Zerfall Österreich-Ungarns infolge der Niederlage im I.Weltkrieg wurde auf dem Gebiet der historischen böhmischen Länder die Republik ausgerufen, der entsprechend dem Versailler Vertrag auch die Slowakei angegliedert wurde. Die Tschechoslowakei bildete damit die staatliche Einheit zweier Völker, die zwar eine ethnische Verwandtschaft verbindet, in historischer und ökonomischer Hinsicht jedoch eine unterschiedliche Entwicklung nahmen, woraus sich später die autonome Bewegung der Slowaken gegen die tschechische Oberherrschaft ergab, die auch in meinem Roman zum Ausdruck kommt. Erster Präsident wurde Professor T. G. Masaryk, das Haupt der tschechischen Befreiungsbewegung im Ausland. Sehr bald wurde er von den »Männern des 28. Oktober« angegriffen, den Führern der heimischen Untergrundbewegung, die sich nach dem Gründungstag der ersten Republik im Jahre 1918 benannten und zumTeil in der illegalen Gruppe »Maffla« organisiert waren. Masaryk gelang es jedoch, die wirklich revolutionären Elemente zu korrumpieren oder zu isolieren und die liberal-bour-geoisen Parteien mit der Sozialdemokratie um sich zu gruppieren, die dann auch den Kern der ersten Koalitionsregierungen bildeten. Die erste Wirtschaftskrise nach dem Krieg führte zwar zur Spaltung der Sozialdemokratie; ihre Mehrheit wandte sich der HI. Internationale zu und gründete die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei, aber das System selbst wurde dadurch keineswegs ers^üttert, eher gefestigt. Dieses System der sogenannten »Burgkoalitionen« (so genannt nach der Prager Burg, dem Hradschin, dem Sitz des Präsidenten) kam erst durch die späteren Wirtschaftskrisen und als Folge des harten Kurses gegen die nationalen Minderheiten und die Slowaken ins Wanken. In den Jahren 1926-28 wurde zum ersten Mal die Burgkoalition durch eine »Herrenkoalition« ersetzt, die der bourgeoisen Parteien unter der Führung der Agrarpartei, die in der Tschechoslowakei das Rückgrat der Reaktion war. Diese neue Koalition richtete einen ihrer ersten Angriffe gegen die Sozialversicherung, die letzte Errungenschaft der Arbeiterschaft in den revolutionären Nachkriegs Jahren. Als Novelle zum Sozialversicherungsgesetz präsentiert, stieß diese auf heftigen Widerstand, der schließlich zum Generalstreik führte. Auch ich marschierte als Mitglied der »Kostufra« mit den Hunderttausenden Demonstranten zu der Protestkundgebung. Die »Kostufra« (»Kommunistische Studentenfraktion«) war eine Organisation marxistischer und links gesinnter Studenten. Ebensowenig wie die Öffentlichkeit sah auch ich damals den Zusammenhang zwischen dem Generalstreik und dem Prozeß. Das damalige Organ der tschechischen Großbourgeoisie, die »Ndrodni listy«, schrieb jedoch wörtlich: »Klepetäfs Roman hat die Novelle der Sozialversicherung ausgestochen.-» Dieser Ausspruch war gewiß bildlich und übertrieben, er entsprach aber der Wahrheit. Aus diesem Grunde habe ich ihn einer der handelnden Personen meines Romans in den Mund gelegt. Vielleicht wird den Leser noch interessieren, warum ich gerade diesen Stoff für meinen dritten Roman wählte. Sicherlich spielte hier die Intensität meiner Jugenderinnerungen eine Rolle, der Wunsch zu erfahren, was sich hinter den Kulissen des Prozesses abgespielt hat; entscheidend war aber der innere Trieb, einmal ein Geschehen darzustellen, an dem ich nicht unmittelbar beteiligt war. In meinen früheren Romanen »Junge Herzen« und »Spanische Arena« trat ich als handelnde Person und Autor der geschilderten Ereignisse zugleich auf, dagegen blieb mir bislang unbekannt, was sich hinter den Kulissen der Justiz tat und wie sich die »goldene Jugend« aus der »Slavia« vergnügte. Mit solchen »Helden« war ich nie persönlich bekannt geworden. Für das »Alibi« standen mir nur die Erinnerungen der Beteiligten, die Gerichtsarchive und die Zeitungen aus jenen Jahren zur Verfügung. Alles andere mußte ich in weit größerem Maße als bisher durch meine Phantasie ergänzen. Inwieweit mir das gelungen ist, möge der deutsche Leser selbst beurteilen.

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